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Der komödiantische Dialog in der zeitgenössischen Bühnenübersetzung:
Von der Transkodierung zur Kannibalisierung

Mary Snell-Hornby

Bis in die frühen 80er Jahre wurde die Dramenübersetzung von der translationswissenschaftlichen Forschung eher vernachlässigt. Einige wenige Ausnahmen wie etwa deutsche Versionen von Shakespeare-Stücken wurden hauptsächlich in ihrer Funktion als literarischer Text betrachtet, nicht aber als Bühnenwerke (vgl. Bassnett 1998:134-5). Inzwischen wurden zwei Konzepte entwickelt, die die Dramenübersetzung auch als Bühnentext berücksichtigen: nämlich der theatersemiotische (z.B. Fischer-Lichte 1983) und der holistische Ansatz (Snell-Hornby 1984). Der holistische Ansatz betrachtet den Bühnentext als multimodales, auf spezifischen, hauptsächlich nonverbalen Kriterien gestütztes Genre, das vor allem als Gerüst für die dramatische Darbietung dient, wobei seine verbalen Komponenten in sich unvollständig bleiben, vergleichbar etwa mit einer Orchesterpartitur. Wie diese ist auch der übersetzte Bühnentext als gespieltes Werk gedacht und muss daher gleich seinem Ausgangstext Kriterien wie der Aufführbarkeit und Sprechbarkeit entsprechen. Diese sind aber nicht nur von der jeweiligen Sprache an sich abhängig, sondern zudem noch von individuellen oder kulturspezifischen Theaterkonventionen und Spielstilen. Weiters sind auch der Status und die Komplexität des verbalen Texts als Bühnendialog stark von dem jeweiligen Subgenre, der jeweiligen literarischen Epoche und dem jeweiligen Dramatiker beeinflusst, und das wirkt sich wiederum auf die Problemstellung für die Übersetzung aus: Komödie, Satire, multiple Perspektiven der Intertextualität und Wortspiele, Ironie und linguistische Hybridität - sie alle erhöhen die Anforderungen an die Problemlösungskompetenz des/der ÜbersetzerIn um ein vielfaches.

Einer jener Dramatiker, die für jede/n ÜbersetzerIn eine wahre Herausforderung darstellen, ist der Brite Tom Stoppard. Im Vergleich zu anderen englischsprachigen TheaterautorInnen ist er im Spielplan der Wiener Theaterstätten auffallend selten vertreten. Nur eines seiner Werke, The Real Thing/Das Einzig Wahre, wurde bislang zweimal zur Aufführung gebracht, während seine neueren Werke wie z. B. Indian Ink offensichtlich noch überhaupt nicht gespielt wurden. Von den sieben seiner Stücke, die in Wien zur Aufführung gelangten, wurden insgesamt fünf von Hilde Spiel ins Deutsche übersetzt; Rosencrantz and Guildenstern are Dead, das 1967 als Rosenkrantz und Güldenstern zur Wiener Uraufführung gelangte, wurde in einer Version von H. Lunin inszeniert, und für das nach Spiels Tod am Theater in der Josefstadt im Jahre 1990 dargebotene Arcadia/Arkadien wird kein/e ÜbersetzerIn genannt. Bei Hilde Spiels Übersetzungen handelt es sich zum überwiegenden Teil um sogenannte "treue" Übersetzungen (streckenweise sogar um Transkodierungen) des verbalen Texts ohne wirkliche Einbeziehung der multiplen Perspektiven oder aber seiner Umsetzung auf der Bühne: Ihre deutsche Bearbeitung von Stoppards Werken entspricht einer wortwörtlichen Übersetzung, die im Englischen so schön doppeldeutig und auch irreführend literary translation heißt.

Das Forschungsprojekt durchleuchtet die Rahmenbedingungen, Hintergründe und Rezeptionen aller Wiener Produktionen von Stoppards Werken, und befasst sich beispielsweise mit einer Analyse der deutschen Strichfassung, den Zielen und dem Ablauf der einzelnen Produktionen, zu denen idealerweise Beteiligte persönlich befragt werden sollen, oder etwa den Reaktionen des Publikums, wie sie in den Kritiken widergespiegelt werden. Auch Tom Stoppards eigene Arbeit auf dem Gebiet der Dramenübersetzung wird zum Vergleich herangezogen. Darüber hinaus werden die deutschen Versionen der Stücke Stoppards einer Auswahl aus dem reichen Wiener Fundus von übersetzten britischen Komödien gegenübergestellt, die vergleichbare verbale und nonverbale Probleme für den/die ÜbersetzerIn aufgeworfen und eine ähnliche Herausforderung für den/die RegisseurIn dargestellt haben, wie zum Beispiel die zahlreichen deutschen Versionen der Stücke Oscar Wildes, die in der aktuellen "kannibalisierten" Form von The Importance of Being Earnest am Akademietheater, nämlich Elfriede Jelineks Ernst ist das Leben (2005), ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden haben.

Literatur:
Bassnett, Susan. 1998 "The Translation Turn on Cultural Studies", in: S. Bassnett und A. Lefevere (Hgg.), Constructing Cultures. Essays on Literary Translation. Clevedon: Multilingual Matters. 123-140.

Fischer-Lichte, Erika. 1983. Das System der theatralischen Zeichen. Tübingen: Narr.

Snell-Hornby, Mary. 1984. "Sprechbare Sprache – Spielbarer Text. Zur Problematik der Bühnenübersetzung", in: R.J. Watts und U. Weidmann (Hgg.), Modes of Interpretation. Essays Presented to Ernst Leisi on the Occasion of his 65th birthday. Tübingen: Narr. 101-116.

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