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Dramatiker der klassischen amerikanischen Moderne auf Wiener Bühnen

Margarete Rubik

Im Brennpunkt des Projekts sollen die Dramatiker der klassischen amerikanischen Moderne, O'Neill, Williams, Miller und Albee stehen, doch soll auch auf berühmte Zeitgenossen, wie etwa Mamet und Kushner Bezug genommen werden, sowie auf die viel gespielten Werke etwa von Wilder. Insgesamt wurden weniger amerikanische Dramen auf Wiener Bühnen zur Aufführung gebracht als britische, einige bekannte Klassiker jedoch wurden mehrmals aufgeführt und erlauben so einen Überblick über sich wandelnde Einstellungen, Sichtweisen und Bewertungen.

In der Theorie hat Theater natürlich ein hohes Potenzial für Kulturvermittlung, es fragt sich jedoch, in wieweit dieses Potential in den verschiedenen Aufführungen auch tatsächlich eingelöst wurde. Ein zentrales Anliegen des Projekts wird daher die Analyse der verschiedenen Mittel des Kulturtransfers und der "Übersetzung" (im weitesten Sinn des Wortes) in die Zielkultur sein. Besteht seitens der Inszenierung überhaupt Interesse an einem echten Dialog mit der Kultur, in dem das Werk entstand, oder werden die Theaterstücke vielmehr aus dem ursprünglichen amerikanischen Kontext weitgehend herausgelöst und als allgemein gültige Kulturgüter be- (und ge-)handelt, die zu einem globalen Publikum sprechen und 'zeitlose' Probleme behandeln? Wird Theater als ein Akt der Selbst-Reflexion einer Kultur betrachtet (Fischer-Lichte) und als Tor zu einem Dialog der Kulturen (Shaked), oder, aus einer 'humanistischen' Perspektive, als allgemeines Produkt menschlicher Kultur, das das Fremde nicht vermittelt, sondern vielmehr assimiliert und statt dessen das Bekannte, das Unspezifische, in den Vordergrund rückt? Werden die Dramentexte von den Regisseuren und Rezensenten in einem spezifischen nationalen Kontext gestellt oder steht, im Gegensatz dazu, im Sinn eines (pseudo)kosmopolitischen 'Bildungsbürgertums' vor allem die Kenntnis und Konsummation von internationalen Kulturgütern im Vordergrund?

Das 'Übersetzen' von Dramen von einer Sprache und Kultur in eine andere beinhaltet eine Reihe unterschiedlicher Schritte, von der eigentlichen Übertragung in die fremde Sprache bis hin zur Aufführung und Rezeption (soweit sich diese aus Theaterprogrammen, Rezensionen, Bildern usw. rekonstruieren lassen).

Besonderes Augenmerk soll folgenden Fragestellungen gewidmet werden:

Wie schnell wird ein Stück in Wien aufgeführt? Welche Zeitspanne liegt zwischen der amerikanischen Erstaufführung und der Wiener Premiere? Wie unterscheidet sich die Reaktion von Publikum und Kritik in New York (in den meisten Fällen) und Wien? Wie ändert sich die Rezeption eines Stücks im Lauf der Zeit? Warum werden die bekannten Dramen etwa von Miller und Williams zu bestimmten Zeiten neu inszeniert? Werden diese Stücke als besonders aktuell empfunden, und warum?

Wie oft wurde ein bestimmtes Stück in Wien aufgeführt? Wie unterscheiden sich die verschiedenen Inszenierungen und Interpretationen, und was sagen diese Unterschiede aus über den kulturellen und politischen Kontext der Inszenierung und ihrer Rezeption?

Welche Rolle spielen visuelle Aspekte (wie etwa Bühnenbild, Kostüme, Schauspieler) bei der 'Übersetzung' in die fremde Kultur? Inwieweit tragen solche Elemente (neben dem eigentlichen Text des Stücks) dazu bei, einen 'amerikanischen' Kontext zu suggerieren – und wie reagiert das Publikum auf solche Markierungen? Die Produktion von Millers Tod des Handlungsreisenden in der Saison 1983 am Akademietheater verwendete eine Reihe stereotyper Ikonen amerikanischer Kultur (Freiheitsstatue, Straßenkreuzer, usw.) um die Aufmerksamkeit auf den "amerikanischen Traum" zu lenken, was von einigen Kritikern als "Anti-Amerikanismus" gedeutet wurde. (Die Produktionen der 50er und 60er Jahre hatten, im Gegensatz dazu, Loman als modernen "Jedermann" interpretiert.)

Welche Konventionen der Zielkultur erleichtern oder erschweren die Rezeption eines dramatischen Texts? Welche Kenntnis der Entstehungskultur wird vom Text implizit vorausgesetzt und bereitet daher für literarische Übersetzung und Produktion Probleme? Welche Verständnisprobleme ergeben sich dadurch? So wurde etwa in den Text von Williams Glasmenagerie 1965 ein expliziter Hinweis auf Lady Chatterley eingefügt, da offenbar angenommen wurde, dass das Wiener Publikum D.H. Lawrence nicht unbedingt sofort als literarische Berühmtheit mit Skandalruf identifizieren würde.

Welche Charaktertypen und literarische Gattungen bereiten bei einem Kulturtransfer Schwierigkeiten, weil es keine entsprechenden Gegenstücke in der Zielkultur gibt, auf die Übersetzer, Regisseur oder Kritiker Bezug nehmen könnten (z.B. Amandas Herkunft aus der Kultur des amerikanischen Südens; die tragi-komischen Elemente und die Mischung von epischen und Traumelementen sowohl in Tod des Handlungsreisenden als auch in Glasmenagerie, die ursprünglich als technisch unreif abgelehnt wurden).

Wie reagiert die Kritik auf Stilelemente, die als "fremd" empfunden werden (Die Tatsache, dass Tom in Glasmenagerie das Publikum auch als Erzähler anspricht, wurde in den ersten beiden Produktionen als verwirrend empfunden, obwohl man meinen sollte, dass doch Brechts Dramaturgie hätte bekannt sein müssen nach dem 2. Weltkrieg). Welche Modelle und Parallelen werden erwähnt (so werden Miller und Williams etwa häufig mit Ibsen und Strindberg verglichen).

Für Iser sind 'Übersetzungen' immer auch Zeichen einer kulturellen Krise und eines Versuchs einer Neuorientierung der eigenen Kultur vor dem Hintergrund der fremden. Inwieweit spiegeln die Rezensionen solche Versuche einer Neudefinition der österreichischen Kultur durch eine Auseinandersetzung mit 'importierten' amerikanischen Kulturprodukten (v.a. in Zeiten der alliierten Besatzung)? Es gibt aus dieser Zeit tatsächlich Kritiken, in denen die Überlegenheit europäischer (z.T. auch "deutscher") Kultur im Vergleich mit der US-Kultur betont wird, die ihre Vorbilder noch immer im ('überholten') Expressionismus der 20er Jahre suche. Solche Reaktionen bilden die Kehrseite der Kulturassimilation und finden auch Ausdruck in der Verwendung von Nationalstereotypen: so wird die keifende Amanda in Glasmenagerie etwa als typisch amerikanische Frau interpretiert, obwohl ihre Hintergrund in der Südstaatenkultur in der Regel vernachlässigt oder nur unvollkommen verstanden wird.

In welcher Beziehung steht eine bestimmte Inszenierung zum Zeitgeist, zu Nationalstereotypen, die zur Aufführungszeit populär sind, zur politischen, sozialen und kulturellen Situation in Österreich und Amerika und zu den bilateralen Beziehungen der beiden Staaten?

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