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Kontinuität oder Neubeginn?
Shakespeare auf der Nachkriegsbühne des Burgtheaters

Elke Mettinger-Schartmann

Historiker haben immer wieder die versäumte Chance einer kulturellen Neuorientierung Österreichs in der Nachkriegszeit hervorgehoben. Im Gegensatz zur deutschen "Trümmerliteratur" setzte man in Wien auf die kulturelle Kontinuität garantierenden drei Mythen Burg, Oper und Philharmonie. Das Burgtheater verließ sich auch im Nachkriegsjahrzehnt voll auf Shakespeare, den "dritten deutschen Klassiker", der mit neun Dramen in Neuinszenierungen den Spielplan dominierte.

Das Projekt versucht dennoch Neuansätze und Innovationen zu würdigen in den einzelnen Komponenten, die das Burgtheater als Kräftefeld im Sinne Bourdieus ausmachen.

Diese manifestieren sich in der Notbühne im Ausweichquartier Ronacher, die aufgrund von Platzmangel und fehlender technischer Ausrüstung viel Improvisation erforderte.

Auch der Spielplan mit einem leichten Übergewicht der Tragödien (im Gegensatz zur klaren Vorherrschaft der Komödie während des Krieges) spricht gegen das bloße Ziel unverfänglicher Unterhaltung.

Von den fünf Shakespeare-Regisseuren kehrten drei aus dem Exil zurück und verhinderten somit eine simple Rückkehr zur Routine.

Die Bühnenbildner, teilweise ebenfalls Exilanten oder Gastbühnenbildner, arbeiteten oft eng mit prominenten Regisseuren wie Lindtberg oder Viertel zusammen und leisteten Beiträge zur Entwicklung der modernen Bühne, die in manchen Fällen – auch aus Not – Anklänge an die spärlich bestückte elisabethanische Bühne erkennen ließen.

Auch – und erst recht – nach dem Krieg war das Burgtheater ein Ensembletheater. 1945 stand kaum das halbe Ensemble zur Verfügung. Manche Schauspieler waren Richtung Westen geflohen, andere noch im Exil, wieder andere mit Berufsverbot belegt oder unterzogen sich verschiedener Stadien der Rehabilitierung. Wenige setzten sich wie Fred Hennings kritisch mit ihrer Vergangenheit auseinander.

Von den Burgtheaterdirektoren trat Lothar Müthel, der 1943 einen spektakulär antisemitischen Kaufmann von Venedig mit Werner Krauß in der Rolle Shylocks inszeniert hatte, bereits im April 1945 auf Druck zurück und wurde von Raoul Aslan abgelöst, der in seiner Antrittsrede die Rolle des Burgtheaters als traditionelle österreichische Institution bestätigte. 1948 trat der aus dem südamerikanischen Exil heimkehrende Shakespeare-Regisseur Gielen seine Nachfolge an.

Die Übersetzungen nehmen natürlich im Fall des fremdsprachigen Repertoires eine wesentliche Position im Kräftefeld ein. Die kanonischen Schlegel- bzw. Baudissin-Übersetzungen wurden weitgehend verwendet, wenn auch oft in gekürzter und adaptierter Form, beispielsweise von Viertel, der lange im englischsprachigen Exil gelebt hatte. Dennoch wurden für zwei Komödien die brandneuen Übersetzungen Richard Flatters, ebenfalls aus englischsprachigen Exilländern heimkehrend, verwendet.

Die Theaterkritik etablierte sich 1945 nach der Phase der NS-"Kunstbetrachtung" wieder. Viele Kritiker kehrten aus dem Exil heim, manche versuchten sogar eine Anbindung der österreichischen Literaturszene an die Avantgarde, andere setzten eine ununterbrochene Karriere fort. Jedenfalls war Theaterkritik fast immer Schauspielerkritik und kam damit den Wünschen des Burgtheaterpublikums sehr entgegenkam, das auch nach dem Krieg der Burg treu blieb und seine Stars sehen wollte. Dabei scheinen die innovativeren und teilweise neu übersetzten Komödien aber noch mehr Beifall gefunden zu haben als die ebenfalls erfolgreichen Tragödien.

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