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Austro-American Cultural Transfer in the Period after World War II

Dieter Fuchs

Welche Rolle spielt das Boulevardtheater beim amerikanischen Demokratisierungsprogramm im Wien der Nachkriegszeit? Auf populäre Stücke spezialisiert und im ehemaligen US-Sektor gelegen, bietet das Theater in der Josefstadt die Rahmenbedingungen, eine solche Fragestellung zu verfolgen. Bereits ein erster Blick auf den Spielplan der Nachkriegsjahre lässt einen stetig wachsenden Anteil anglophoner Stücke erkennen. Kassenschlager vom Broadway und Filme aus Hollywood, die amerikanischen Lebensstil und wirtschaftlichen Erfolg zelebrieren, werden ins Deutsche übertragen und für die Bühne adaptiert. Das Resultat dieses Kulturtransfers wurde dem Theaterpublikum anti-faschistisch und anti-bolschewistisch meinungsbildend offeriert. Die gespielten Stücke sind wie folgt kategorisierbar:

Melodrama: Dieser Theatertypus ist essenzialistisch belehrend, weltanschaulich wenig differenziert und stammt von Autoren, deren künstlerische Leistung hinter dem Bestreben, amerikanische Werte und Ideale zu verbreiten, zurückbleibt. Als an der Josefstadt gespielte Vertreterin dieser Tradition ist die Broadwayproduzentin Jean Dalrymple zu nennen, die zusammen mit ihrem Ehemann – einem amerikanischen General und Kriegskameraden Dwight D. Eisenhowers – auch im Berlin der Nachkriegszeit kulturpolitisch hervorgetreten ist. Auch Goodrich und Hackett – die das Tagebuch der Anne Frank für die Bühne adaptierten – standen als Exponenten dieser Entwicklungslinie auf dem Spielplan des Theaters in der Josefstadt. Dass sich ihr 1957 aufgeführtes Bühnenstück über Anne Frank nicht am holländischen Originaltexts des Tagebuchs, sondern an einer amerikanischen Dramatisierung seiner englischen Übersetzung orientierte, ist Indiz für einen trivialisierenden 'Kulturtransfer'.

Sophisticated Comedy: Jene Dramentradition repräsentiert Wissen und Macht in dialogisch nicht-essentialistischer Weise. Ihr ironisch-anspielungsreicher Witz verhandelt Normen als doppelbödiges Vexierspiel und macht die Meinungsbildung zur Aufgabe des Zuhörers. Bezeichnenderweise haben viele dieser im Theater in der Josefstadt der Nachkriegszeit inszenierten Stücke deutsche, österreichische oder ungarische Wurzeln. Sie gelangten in der Vorkriegszeit durch die Exilbewegung in die USA und kehrten nach dem Fall des Faschismus von dort aus zur Demokratisierung und Amerikanisierung der Nachkriegsbevölkerung nach Mittel- und Osteuropa zurück. Es handelt sich hierbei um einen wechselseitigen transatlantischen Austausch, also um einen doppelten Kulturtransfer. Die unter der Regie von Ernst Lubitsch gedrehte Hollywood-Komödie Bluebeard's Eighth Wife beispielsweise wurde 1951 als Bühnenfassung im Theater in der Josefstadt inszeniert, ebenso dessen Filmklassiker Ninotchka 1954.

Mit Lubitsch – dem Berliner Schüler Max Reinhardts – kehrte die Tradition der Vorkriegszeit ans Theater in der Josefstadt zurück: Max Reinhardt war vor seinem Exil Intendant des Hauses in der Josefstadt. Das Oscar-nominierte Drehbuch von Ninotchka stammt von dem ungarischen Kosmopoliten Melchior Lengyel, der auf beiden Seiten des Atlantik mit Lubitsch, Reinhardt und Eugene O’Neill zusammenarbeitete. Er verfasste neben Theaterstücken und Drehbüchern auch Übersetzungen englischsprachiger Werke ins Deutsche, beispielsweise, die 1958 im Theater in der Josefstadt gespielte Bühnenfassung des Dalrymple-Romans Das stille Haus1. Für ein 1942 realisiertes Filmprojekt Lubitschs schrieb Lengyel Shakespeares Hamlet als Anti-Hitler Satire neu: To Be or Not to Be. Als Theaterfassung wurde das politisch brisante Stück in Österreich erst 2003 uraufgeführt.2

Die Untersuchung der im Theater in der Josefstadt gespielten Boulevardstücke der Nachkriegsjahre soll die kulturelle und machtpolitische Vielschichtigkeit der zentraleuropäisch-amerikanischen Wechselbeziehungen im Wien der Nachkriegszeit erörtern. Während das dem Melodrama zugehörige Repertoire westliche Werte zwar gesinnungspolitisch, nicht jedoch künstlerisch überzeugend zu vermitteln mag, erweist sich die Tradition der witzig-geistreichen Komödie als gleichermaßen ästhetisch wie politisch differenziert. Sie betreibt ein Vexierspiel, das die kulturellen Werte der westlichen Welt gleichermaßen affirmiert wie subvertiert. Es ist zu eruieren, ob das ironische Schillern jener Stücke – das die weltanschauliche Deutung zur Aufgabe des Publikums macht – als Anleitung zur politischen Mündigkeit und Kritikfähigkeit intendiert oder in Verkennung des Ironieverfahrens missverstanden wurde. Ebenso ist zu klären, ob jene Stücke als amerikanisches Kulturgut erachtet wurden, das zu pädagogischen Zwecken nach Europa exportiert wurde, oder als zentral- und osteuropäische Kunst, die über das transatlantische Exil den Weg in die alte Welt zurückfand.


1 Da Dalrymple dem melodramatischen Modus zuzurechnen ist, scheint die Übersetzung ihres Romans durch Lengyel, dem Vertreter der dialogischen Tradition der sophisticated comedy von besonderem Interesse.
2 Jürgen Hofmann, Noch ist Polen nicht verloren. Schauspiel nach Melchior Lengyel. Premiere 27.02.2003. Coproduktion von Stadttheater Klagenfurt und Metropoltheater Wien.

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